Gendern: schriftlich hui, mündlich pfui?

Jan 15, 2021Gedank:innen zur Vielfalt0 Kommentare

Habt ihr schon einmal genauer hingehört? Im ORF erlebt man seit einiger Zeit die verschiedensten Versuche, dem gesamten Publikum gerecht zu werden und da und dort zu gendern. (Na, war das nicht schon eine schöne Vermeidungs-Strategie? Einfach Publikum schreiben statt Zuhörerinnen und Zuhörern, ZuhörerInnen, -_innen, *innen, :innen und das ganze nochmals mit Zuseher….n  ;).

Allgemeine Vorgabe dürfte es keine geben, denn es kommt einem da so einiges unter, wie zum Beispiel

  • die altbekannte männliche Plural-Form als „generisches Maskulin“ (also Zuseher gilt für alle)
  • die Verwendung beider Formen (Zuseherinnen und Zuseher)
  • kreative Abwechslungen (à la: Ärtzinnen und Pfleger, Sozialarbeiter und Psychologinnen – man beachte den Versuch, da auch gleich die Berufs-Stereotypen zu durchbrechen!)
  • der „stimmlose glottalen Plosiv“, also Stimmritzenverschlusslaut. Auf gut Deutsch: ein minimales Absetzen vor dem „innen“ als gesprochene Umsetzung des geschriebenen _ * : oder Binnen-I.

Letzteren praktiziert ORF Anchorman Tarek Leitner bisweilen – und muss sich dafür immer wieder meist von Zusehern (diesmal absichtlich nicht gegendert!) anpflaumen lassen. So fühlte sich unlängst jemand durch sein sprachliches Absetzen „auf einen Schluckauf reduziert“.

„Schluckauf“

Das hat Leitner zum Anlass genommen, einen wie ich finde sehr gelungenen Kommentar für das Nachrichtenmagazin Profil zu schreiben. Er plädiert für eine geschlechtergerechte Sprache und auch dafür, die vielen schriftlichen Möglichkeiten auch in der gesprochenen Sprache umzusetzen. Leitner zeigt wenig Berührungsängste und ist für verschiedenste Wege offen (Zitat: „Nehmen wir nach dem generischen Maskulinum jetzt also das generische Femininum, ausschließlich die weibliche Form. Die Männer können ja „mitgemeint“ sein. Nach Hunderten von Jahren kann es auch mal umgekehrt sein. Mir würde das nichts ausmachen. – Zuweilen auf Sendung probiert, viel Kritik.“). Letztendlich ist für ihn der „Schluckauf“ der gangbarste Weg. Völlig unaufgeregt schließt er damit, dass wir uns – genauso wie es schriftlich der Fall ist – auch bei der gesprochenen Sprache schon daran gewöhnen werden, es dauert halt nur ein bisschen. Tolle Worte zu einem Thema, das nicht nur im Publikum sondern auch in der Medienbranche stark polarisiert und heftig diskutiert wird.

.. und im Print-Journalismus?

Auch hier wird es ganz unterschiedlich gehandhabt, und zum Teil haben genderwillige Journalist:innen einen schweren Stand innerhalb der Redaktion – denn da kommen natürlich immer wieder die Argumente: Lesbarkeit, Irritation der Leserschaft, Platzmangel, Frauen wären ja „eh mitgemeint“ etc. etc. Eine löbliche Ausnahme bietet hier das Portal diestandard.at, wo seit über 20 Jahren gendergerecht zu Frauenpolitik, Geschlechterthemen und Feminismus geschrieben wird – seit dem Tag der Frau 2020 mit Gendersternchen statt Binnen-I. Es geht, wie man sieht – nur ziehen die meisten (noch) nicht nach.

Pro und Contra Plädoyers und Polemiken gibt es zu Hauf – und inzwischen auch jede Menge Studien zum Thema – aber selten verbindliche Vorgaben. Eine kleine Episode vom letzten Jahr am Rande: Da hat die Journalistin Alexandra Wachter mal per Twitter gefragt, warum das Journalismus-Branchenmagazin noch immer „Der österreichische Journalist“ heißt und ob nicht eine Umbenennung angesagt wäre. Die Antwort des Chefredakteurs kam postwendend.

Doch nicht alle Männer haben Gender-Scheuklappen auf – sehr lustig habe ich vor kurzem einen Tweet des Nutzers Schlerwus gefunden:

ironischer Tweet über Texte mit generischem Maskulin

Screenshot vom 15.01.2021

Und vielleicht holt auch die Realität die beharrenden Elemente schön langsam ein? Prinzipiell halte ich es da wie Tarek Leitner: Wir werden uns schon daran gewöhnen, und in ein paar Jahren wird das normal sein, was jetzt für Aufregung sorgt. Sprache und Gesellschaft sind lebendig und wenn sich die Gesellschaft verändert, muss sich Sprache eben mit ihr ändern und anpassen – ansonsten würden wir noch Mittelhochdeutsch (oder sogar Indogermanisch?) sprechen.

www.genderleicht.de – Tipps für alle Medienmacher:innen

Doch schauen wir mal ein bisschen über den Tellerrand nach Deutschland. Hier haben eine Vielzahl von Medien diese Thematik bereits intern diskutiert und umgesetzt.  Der deutsche Journalistinnenclub (sic!) hat eine äußerst hilfreiche Website zur gendergerechten Sprache in Medien – und zwar für Bild, Text und Ton veröffentlicht.

Website genderleicht.de

Screenshot 15.01.2021

Googelt man nach österreichischen Seiten zu den Themen „Medien gendern Österreich“, kommen nur Beiträge aus der öffentlichen Verwaltung – die scheint den Medien da voraus zu sein. Doch mit dem Verweis auf unsere Deutsch sprechenden Nachbar:innen und die Website der deutschen Kolleginnen sollte nun kein Journalist und keine Journalistin mehr eine Ausrede haben! Oder seid ihr anderer Meinung?

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