Mareike Fallwickl: Jetzt ist nichts mehr daran subtil

Mai 8, 2024Personen und Persönlichkeiten

Anlässlich ihres neuen Romans „Und alle so still“ habe ich Mareike Fallwickl für die Salzburger Straßenzeitung Apropos interviewt – ein sehr inspirierendes und spannendes Gespräch über Feminismus, Care Arbeit, Ungerechtigkeit und gesellschaftliche Verantwortung.

Was in der Zeitung keinen Platz mehr fand, ist hier in Zitatform zu verschiedenen Themen nachzulesen

„In die Vollen greifen“

Mit „Der Wut, die bleibt“ auf politischen Bühnen zu landen oder mir selber auf Social Media in Kacheln mit feministischen Zitaten zu begegnen, das war unerwartet. Das ist mir einfach passiert. Beim jetzigen Buch ist es anders. Jetzt hab ich mir gedacht: Ok, die Bühnen sind da, die Kameras sind da, ich nutze das jetzt einfach aus. Jetzt ist nichts mehr dran subtil, jetzt ist nichts mehr zufällig, sondern komplett absichtlich, weil diese Themen sind nach wie vor wichtig und alle diese Aufmerksamkeit jetzt nicht zu nutzen wär jetzt nicht so schlau, jetzt ist es einfach in die Vollen zu greifen.

Schul-Workshops als Spiegel der Realität

In meinen Workshops sind mir schon so viele junge Frauen begegnet, die mir erzählt haben, was ihnen schon alles passiert ist auf Festivals und dies und das. Und das sind wirklich so Gespräche, wo man die Jungs in die Pflicht nimmt und fragt: Hey, was ist mit euch? Die Mädls erzählen euch, wie es ihnen da ergeht auf einem Electric Love, und dass sie aber auch immer aufeinander schauen, sogar wenn sie sich nicht kennen. Und ihr seht euch nicht in der Verantwortung, sogar wenn ihr in einer Gruppe von fünf, sechs Burschen seid, und einer von euch verhält sich Scheiße – was ist mit den anderen fünf? Warum sagen die dann nie: „Komm, gib Ruhe, das ist nicht ok, wenn du angesoffen bist, geh heim.“ Und dann antworten sie unweigerlich immer – und das ist der interessante Punkt: Das ist gefährlich für uns. Und das bedeutet: Männer wissen ganz genau, dass diese Gefahr von ihnen ausgeht. Sie spielen es immer gern runter: Not all men, Frauen stellen sich nur so an und behaupten dies und das. Aber in dem Moment, wo du sie ganz konkret damit konfrontierst und fragst: Warum stellt ihr euch nicht gegen eure Gleichaltrigen? Oder warum helft ihr diesen Mädels nicht? Dann antworten sie: Weil dann kommen wir ja in die Schusslinie, dann sind ja wir in Gefahr.

Sprechen über Marginalisierung

Es ist so krass, weil diese Zahlen, Daten, Fakten existieren in der Welt, aber sie finden nicht im öffentlichen Diskurs statt. Man muss aktiv danach suchen, sich aneignen, lesen, recherchieren und weitergeben. Aber es wird absichtlich vor uns verborgen, wir sollen diese Dinge ja nicht wissen. Grad in Schulen, die Kinder sitzen dort jeden Tag stundenlang und über so etwas wird nie geredet. Wenn man darüber redet, sind immer die Marginalisierten die, wo der Erkenntnisschritt größer ist als bei den anderen. Da erkennt man dann gleich: Wer profitiert vom patriarchalen System und wer weniger? Das können ja auch männliche Jugendliche sein, wenn die aus irgendeinem Grund marginalisiert sind. Dann sind die mir viel näher und reden mit mir ganz anders als der Rest der Bande.

Deswegen gibt es in meinem neuen Buch ja auch diesen Nuri, der ist männlich. Der arbeitet unter prekären Umständen und hat so einen verwaschenen Migrationshintergrund. Er spürt aus eigener Erfahrung: Hey, diese Männlichkeitsbilder stimmen nicht, ich kann das nicht erreichen, und wenn ich es nicht erreichen kann, bin ich offenbar eh schon nix wert.

Über die Wertigkeit von Arbeit – und Menschen

Das ist auch so ein klassisches Stereotyp, dass wir behaupten, arme Menschen sind faul und in Wirklichkeit arbeiten viele davon an Stunden oder Kraft oder Tätigkeiten mehr als jemand, der z.B. Excel Tabellen ausfüllt. Und das ist eine Wertigkeit, die wir uns ausgedacht haben. Dieser Mensch sitzt hier auf seinem gepolsterten Sessel und telefoniert und das ist uns 10.000 Euro im Monat wert. Dieser Mensch kehrt die Straße, auf der wir täglich fahren, und das ist uns nicht einmal ein Fünftel wert. In meinem Buch gibt eine Szene, wo gesagt wird: Was ist der orschigste Job, den du nie machen willst? Dann sagen immer alle: Putzen. Das ist immer das, was am meisten abgewertet wird, wo wir so tun, als würden diese Menschen nie existieren. Wenn ich diese Menschen als erste wegnehme, die aber gar nicht sichtbar sind, ist das zwar ein kleines Rädchen – aber was für Auswirkungen hat! Und das finde ich so spannend, dieses System: Was dreht sich wo und wer wie viel Macht hat? Wenn niemand den OP putzt, kann halt dann der Herr Chef auch nicht mehr operiert werden.

Über Privilegien und Verantwortung

ich denke mir, in dem Moment wo mir ein Privileg zur Verfügung steht, muss ich halt auch über den Tellerrand schauen und diese Privilegien für die anderen einsetzen. Mir hat einmal eine 16-, 17jährige in einem Workshop gesagt: Aber mir geht’s doch gut, ich hab überhaupt keine Probleme in der Gesellschaft, ich habe eine gute Ausbildung, ich trau mich auch wütend sein und so…
Wo wir natürlich wissen, weil wir wesentlich älter sind, dass es schön ist mit 16 diesen Optimismus zu haben. Aber ihr sind halt diese ganzen Dinge noch nicht passiert, sie ist noch nicht rechts und links überholt worden von weniger kompetenten Männern, die das Doppelte bezahlt bekommen, usw, sie hat noch keine Kinder gekriegt und gemerkt, was dann passiert. Das habe ich natürlich nicht zu ihr gesagt, sondern ich hab gesagt: Umso besser! Dann musst du das alles, was du mitbringst, diese Ausibildung, diese Ressourcen, diese Möglichkeiten, für andere einsetzen! Dann ist es meiner Meinung nach erst recht deine Pflicht dafür einzusetzen, Frauen zu helfen, die nicht diese Möglichkeiten haben! Weil das ist das, was du tun kannst! Das ist dann Solidarität! Denn es gibt viele Mädls in deinem Alter, die das nicht von sich behaupten können. In meinen Augen ist es wichtig, dass du das nutzt und für die anderen einsetzt. Das ist das gleiche, dass ich als Autorin meine Möglichkeiten durch die geteilte Sorgearbeit nutze und mich für die einsetze, die nicht auf diese Bühne können und aus welchen Gründen auch immer nicht Zugang zu diesen Ressourcen haben.

 

 

 

 

 

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