Roots – Wurzeln von Alex Haley

Sep 4, 2023Bücher und Kunst

Am 15. Juli 2023 stand ich im Sklavereimuseum in Angolas Hauptstadt Luanda – der Ort, von wo aus mindestens 4 Millionen afrikanische Menschen als Sklaven in die „Neue Welt“ verschifft wurden. Dort sah ich zum ersten Mal einen „Belegungsplan“ für Sklavenschiffe. Erschütternd. Fünf Tage später im Landesinneren in Massangano: Ein verfallenes Portugiesenfort, ehemals Zwischenstation für den Sklavenhandel. Eine Sammelstelle, bevor es für die verschleppten (und zuvor noch zwangsgetauften!) Menschen über den Fluss Kwanza an die Küste ging – und weiter siehe oben (sofern sie es überlebt haben) …

Auf der Suche nach der Herkunft

Unser Guide erzählte uns, dass in der letzten Zeit immer wieder Afroamerikaner nach Angola kämen, um sich auf die Spuren ihrer Herkunft zu begeben – sicher auch aufgrund der neuen Möglichkeiten der Genetik. Genau um diese Thematik geht es im autobiografischen Buch „Roots“ von Alex Haley: Aufgrund einer von Generation zu Generation mündlich überlieferten Familiengeschichte forscht er den Anfängen seiner Familie bis ins heutige Gambia nach. Das Buch wurde zwar schon 1976 geschrieben und kurz darauf auch als Serie verfilmt, die sogar bei uns lief, aber an mir war sowohl das Buch als auch die Neuverfilmung als Miniserie 2016 spurlos vorübergegangen… Umso passender war es für mich jetzt nach der Angola-Reise zu lesen.

Aufwachsen im Dorf Juffure in Gambia

Haley beginnt seine Erzählung mit der Geburt des Jungen Kunta Kinte als Erstgeborener seiner Familie. Genau und detailreich schildert er das glückliche Aufwachsen im Dorf mit seinen Strukturen, seiner Aufgabenteilung, den Ritualen und dem Leben im Jahreskreislauf – und auch den Gefahren, die lauern: Erzählungen von Menschen- und Kindesentführungen sind allzeit präsent. Ehrlich gesagt brauchte ich eine Zeitlang mich auf die ausschweifenden Schilderungen einzulassen… aber vermutlich genau deshalb, weil man von Anfang an weiß, welches Schicksal dem Jungen blüht und weil ich befürchtete, dass die grausamen Episoden mit genau derselben Akribie geschildert werden. Und so war es dann auch.

Entführt beim Holz sammeln

Der 17-jährige Kinte wird beim Holzsammeln von Menschenfängern überwältigt und gefangen genommen, misshandelt, zum Marsch zum Sklavenmarkt gezwungen und mit hunderten anderen Menschen gemeinsam verschifft. Die unwürdigen, lebensgefährlichen Bedingungen, unter denen die Überfahrt geschieht, erzählt Haley ebenso detailliert wie die gruppendynamischen Prozesse, die sich innerhalb der aus den verschiedensten Teilen Afrikas verschleppten Menschen an Bord abspielen. Kinte überlebt die Überfahrt – es erwartet ihn ein Leben als Sklave auf einer Plantage.

Ein Leben als Sklave

Haley gelingt es, die verschiedenen Gesellschaftsstrukturen auch innerhalb der Sklaven gut darzustellen: Hier die einen, die bereits in Generationen in Gefangenschaft leben und sich mit ihrem Schicksal abgefunden haben. Dort die direkt aus Afrika angekommenen, die in Freiheit geboren wurden, aufbegehren und versuchen zu fliehen. Zu letzteren gehört Kinte, bis ihm bei seinem vierten Fluchtversuch von Sklavenjägern zur Strafe ein Teil des Fußes abgehackt wird. Er überlebt seine Verletzung, wird von einem „relativ humanen“ Plantagenbesitzer aufgenommen und lebt fortan auf dessen Plantage erst als Gärtner, dann als Kutscher. Er heiratet eine Sklavin, die Haushälterin im Herrenhaus ist, und sie bekommen eine Tochter Kizzy. Kunta Kinte erzählt der Kleinen die Geschichte seiner Familie und bringt ihr ein paar Worte in seiner Muttersprache Mandinka bei. Genau diese Geschichte ist es, die nun von Generation zu Generation weiter erzählt wird und es Alex Haley ermöglicht, seine Herkunft zu rekonstruieren.

Sklavenschicksale im Lichte der historischen Ereignisse

Haleys Buch ist auf mehreren Ebenen spannend: Auf der einen Seite fiebert und leidet man mit den Figuren mit und bekommt einen intensiven Einblick in die Geschichte der Sklaverei – und auch in die Strategien und Netzwerke, mit denen sich die Sklaven heimlich Wissen und Informationen beschafften. Auf der anderen Seite spielen immer auch die politischen und internationalen Entwicklungen mit hinein – und aufgrund meiner Lektüre von Afrika und die Entstehung der modernen Welt von Howard W. French konnte ich die verschiedenen Ereignisse wie z.B. die Sklavenaufstände, die wirtschaftlichen Zwänge in der Neuen Welt, die Sezessionskriege bis hin zur offiziellen Abschaffung der Sklaverei gut einordnen. Er zeigt auf, welche Auswirkungen diese auf das alltägliche Leben der Sklaven und der Beziehung zwischen den Weißen und Schwarzen hatten.

Recherchen und Reisen

Auch wenn Haley kritisiert wurde, für sein Buch verschiedene Quellen ignoriert und Textteile plagiiert zu haben, hat er doch einen sehr wichtigen Beitrag zur literarischen Aufarbeitung der Sklaverei und zur Identitätsfindung der afroamerikanischen Bevölkerung geleistet. Er hat jahrelang in Archiven recherchiert, sich selbst im Rumpf eines Schiffes über den Atlantik begeben um die Torturen ansatzweise nachzuspüren, hat die Spuren seiner Vorfahren in Gambia gesucht und wie er schreibt auch gefunden. Allein das ist ein wichtiger Verdienst und es lohnt sich, der Familiengeschichte über 700 Seiten zu folgen.

Das Sklavereimuseum in Angolas Hauptstadt Luanda

Der Sklavenplatz in Massangano am Kwanza-Fluss

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