Khaled, 29 Jahre staatenlos. Mit Happy End!

Sep 2, 2021Personen und Persönlichkeiten0 Kommentare

Ich lernte Khaled Aldali 2016 kennen, er war 2015 als Flüchtling nach Österreich gekommen und arbeitete als Sprachhelfer bei akzente Salzburg. Gemeinsam nahmen wir an einer historischen Salzburg-Führung im Rahmen der Sprachhelfer:innen-Ausbildung statt. Die Gedenktafel zur Erinnerung an die Bücherverbrennung durch die Nazis am Residenzplatz war Anlass für eine spannende Diskussion: Denn zum ersten Mal lernte ich ein anderes Narrativ kennen und erfuhr von einem direkt Betroffenen, welche Auswirkungen die Staatsgründung Israels auf die Palästinenser in dem dortigen Territorium hatte. Nämlich auf Khaleds Familie, die dadurch zu staatenlosen Flüchtlingen wurde – ein Status, den er in dritter Generation vererbt bekam und erst mit 29 Jahren loswurde. Doch der Reihe nach:

1948 – ein Wendepunkt in der Geschichte

Khaleds Großeltern flohen 1948 aus Palästina nach Syrien. In der Hoffnung, bald in einen palästinensischen Staat zurückkehren zu können, nahmen sie keine andere Staatsbürgerschaft an. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht – und inzwischen ist die vierte Generation der Familie staatenlos.

Doch was bedeutet es, ohne Staatsbürgerschaft in einem fremden Land zu leben? Khaled konnte zwar die Schule besuchen und ein Studium absolvieren, doch schon in jungen Jahren erkannte er, dass er nicht dieselben Chancen hatte wie die syrischen Einheimischen: „Bestimmte berufliche Positionen kannst du nicht erreichen, egal, wie gut du bist. Die sind den Syrern vorbehalten.“ Ein weiteres Problem: „Du hast kein Mitspracherecht und bist nur geduldet. Das lassen dich die Leute auch spüren.“ Reisen mit einem speziellen Travel Document war extrem kompliziert und nur in bestimmte Länder möglich. Das Absurde daran: Im Bürgerkrieg hätte er dann sehr wohl eingezogen werden können. Vorerst rettete ihn die Tatsache, dass er studierte und drei Schwestern hatte. Als es dann eng wurde, musste er auf illegalen Wegen vor der Einberufung fliehen – und gelangte nach Österreich, genau genommen nach Unken im Pinzgau.

Existenz aufbauen als Staatenloser

Als studierter Wirtschafter fiel Aldali das Lernen nicht schwer und er konnte sich rasch in Österreich zurechtfinden. Innerhalb kürzester Zeit hatte er Deutsch gelernt und einen Job gefunden – erst als Sprachhelfer in der Schule, inzwischen als Betreuer in einer Ausbildungseinrichtung für Jugendliche. Bald lernte er seine jetzige Frau Lisa kennen, letztes Jahr kam der gemeinsame Sohn Noah zur Welt.

Doch bei der Zukunftsplanung machte ihm die fehlende Staatsbürgerschaft oft einen Strich durch die Rechnung: Leasingvertrag fürs Auto? Nicht für Staatenlose! Kredit zum Hausbauen? Nicht für Staatenlose! Übernahme in den Schuldienst? Nicht für Staatenlose! Reisen mit der Familie? Nur, wenn genug Zeit und Nerven für die Grenzformalitäten eingeplant werden. „Bei online-Flugbuchungen gibt es keine Möglichkeit „staatenlos“ einzutragen. Das heißt ich muss lügen, aber was trage ich ein? Österreicher? Syrer? Palästinenser? Nichts von dem stimmt!“, schüttelt Aldali den Kopf. Erst beim Check-In kann die Situation vor Ort gelöst werden. Und das kann dauern. Ganz zu schweigen von Grenzkontrollen: „Meine Frau und mein Sohn sind längst durch, und ich werde ewig lang befragt, muss Bargeld nachweisen, Reisegrund angeben, Rücktickets zeigen – immer mit dem Gefühl, dass mir etwas unterstellt wird.“, klagt er.

Mitleiden und -kämpfen

Khaleds Frau Lisa ging angesichts der Ungleichbehandlung ihres Mannes und der miterlebten Schikanen Flüchtlingen gegenüber oft auf die Barrikaden, wie sie erzählt. Wenn sie zum Beispiel zuschauen musste, dass Frauen und Kinder zur Verlängerung ihres Konventionspasses stundenlang bei Minusgraden vor den Toren der Behörde warten mussten. Oder wenn ihr perfekt Deutsch sprechender Mann wieder einmal an der Grenze eine gefühlte Ewigkeit aufgehalten und befragt wurde – in einer Sprache und Wortwahl, die sie entwürdigend empfand. Oder wenn es um die berufliche Zukunft ihres Mannes ging. Da konnte sie ihren Frust und Kampfgeist nicht verbergen – mal half es, in anderen Fällen nicht.

Khaled kann dazu nur müde lächeln: „Wenn du das dein ganzes Leben nicht anders kennst, regst du dich irgendwann nicht mehr darüber auf und versuchst nicht mehr zu kämpfen.“

Kein Wunder, dass er zum ehestmöglichen Zeitpunkt die Einbürgerung beantragte.

Raschere Einbürgerung durch Integration

Durch seine mehrjährige Tätigkeit im Bildungs- und Sozialwesen und seine Familiensituation konnte Aldali eine „nachhaltige persönliche Integration“ nachweisen, die eine Einbürgerung nach bereits sechs statt zehn Jahren möglich macht. Da er auch die übrigen Anforderungen von Deutsch-, Geschichte- und Demokratiekenntnissen über Unbescholtenheit bis zum ausreichenden Einkommen erfüllte, erhielt er am 16. Juli 2021 erstmals in seinem Leben eine Staatsbürgerschaft. Kleines Detail am Rande: Gott sei Dank hatte er keinen Kredit bekommen, denn sonst wäre möglicherweise die für die Einbürgerung erforderliche „hinreichende finanzielle Sicherung des Lebensunterhalts“ nicht gegeben gewesen…!

„Ich bin so froh, das ich das alles hinter mir habe! Ich bin nun endlich vollwertiger Bürger des Landes, in dem ich mein zukünftiges Leben verbringen will, wo ich eine Familie gegründet und wir uns ein Haus gebaut haben.“, ist Khaled, der inzwischen Lehramt Mathematik und Informatik studiert, überglücklich. Zum vollwertiger Bürger-Sein gehört für ihn auch die politische Teilhabe: „Ich freue mich, dass ich wählen und Volksbegehren unterzeichnen kann. Meine Stimme wird jetzt gehört.“

Endlich die Schwestern wiedersehen

Wann sein österreichischer Reisepass zum ersten Mal zum Einsatz kommt? „Ich habe zum Geburtstag ein Ticket nach Abu Dhabi geschenkt bekommen. Dort leben meine Schwestern, die ich seit sieben Jahren nicht gesehen habe. Als Österreicher kann ich sie besuchen, das wäre als Staatenloser unmöglich gewesen.“

Zumindest für Khaled hat die Geschichte ein Happy End – doch in Österreich leben knapp 18.000 weitere Menschen, ohne bzw. mit ungeklärter oder ungewisser Staatsangehörigkeit. Ob es für diese jemals ein Happy End geben wird? Da ist die Politik gefragt…

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