„Leistungsklasse“ von Veronika Bohrn Mena

Nov 23, 2021Bücher und Kunst0 Kommentare

Veronika Bohrn Mena beschäftigt sich seit Jahren mit prekären Arbeitsverhältnissen, atypischer Beschäftigung und den Veränderungen in der Arbeitswelt mitsamt ihren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Im November ist ihr Buch: Leistungsklasse – Wie Frauen uns unbedankt und unerkannt durch alle Krisen tragen erschienen. Sie hat Frauen unterschiedlichsten Alters während der Corona-Pandemie befragt, jede Menge Daten und Fakten analysiert und fragt sich bis heute, warum die Lage der Frauen während Corona kaum Thema war – obwohl es eigentlich das wesentlichste Thema sein sollte!

Frappierende Auswirkungen in allen Bereichen

Die Krise brachte Frauen an den Rand der Erschöpfung – sie sind sowohl systemrelevant unbezahlt tätig (Familien- und Versorgungsarbeit) als auch überdurchschnittlich in der systemrelevanten Infrastruktur (Handel, Pflege etc.) beschäftigt. Und sie sind überdurchschnittlich in atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Und diese Kombination ist folgenschwer, wie Bohrn Mena anhand der verschiedensten Bereiche illustriert:

  • Arbeitslosigkeit: Frauen verloren doppelt so häufig ihre Arbeit wie Männer, erhielten oft kein Arbeitslosengeld (wegen Geringfügigkeit) oder Hilfen aus den Corona-Fonds
  • Zunahme der häuslichen Gewalt: Der Anstieg des innerfamiliären Drucks führte dazu, dass Gewalt gegen Frauen und auch die Frauensterblichkeit zugenommen haben
  • Gesundheitliche Folgen: Frauen hatten besonders unter der Pandemie zu leiden  – physisch wie psychisch. Nicht zu unterschätzen: Der Schlafmangel, hervorgerufen durch die vielen Aufgaben, die es zu übernehmen galt
  • Arbeitszeitreduktion: Besonders Frauen (die ja schon überdurchschnittlich oft Teilzeit arbeiten!) reduzierten ihre bezahlten Arbeitsstunden, um Versorgungsleistungen zu erbringen. Dieser Einkommensverlust wurde nie kompensiert, keine Corona-Hilfen schufen hier Ausgleich.
  • Armut: hat bei Frauen zugenommen, die relevanten Förderungen jedoch nicht. Der Corona-Härtefall-Fonds war bemessen an männerdominierten Branchen und Einkommensmodellen.
  • Urlaubssperren: gab es im Handel, in sozialen Einrichtungen, im Gesundheitswesen – besonders davon betroffen: Frauen. Durch die Gleichschaltung der Öffnungszeiten waren arbeitende Frauen noch mehr gefordert, die alltäglich benötigten Dinge besorgen zu können.
  • Pflegeurlaub: War wiederum nur bei behördlicher Sperre möglich, sobald die Schule offen war, gab es keinen Rechtsanspruch auf Pflegebetreuung.
  • Pflege: wird in Österreich zu 85% innerfamiliär geleistet – aber kaum von Männern. Diese Arbeit ist nicht bezahlt, nicht sozialrechtlich abgesichert, nicht wertgeschätzt. Insofern nützt hier auch die Steuerreform nichts.
  • Kurzarbeits-Modell: Dieses orientiert sich am männlichen Industriearbeiter. Dort, wo Arbeiter:innen nur 14 Tage Kündigungsfrist haben, rentiert es sich mehr, Leute zu kündigen. Angestellte wurden in Kurzarbeit geschickt. Wer ist (z.B. in Gastronomie) stark davon betroffen? Frauen.

Wessen Arbeit ist mehr wert?

Selbst wenn beide Elternteile in Zeiten des Lockdowns zu Hause waren, hatte doch meist der Mann Vorrang, wenn es ums ungestörte Arbeiten ging. Schließlich verdient er ja auch mehr und darf seinen Job nicht verlieren. Dass Frauen mit ihren vielen unbezahlten Tätigkeiten die Leistungsträgerinnen unserer Volkswirtschaft sind, wird übersehen. Denn Arbeit wird in unserem System nach Prestige und nicht nach dem Wert der Leistung bezahlt. Daher plädiert Bohrn Mena dafür, dieses Missstände JETZT sichtbar zu machen, einen Wertediskurs zu führen und die strukturellen Probleme, die alle Frauen betreffen, jetzt zu lösen. Denn nur wenn es den Frauen gut geht, geht es allen gut.

Maßnahmen – und was jede/r einzelne tun kann

Die (arbeitsmarkt)politischen Maßnahmen, die die Ungleichheit beseitigen würden, sind unter anderem:

  • Arbeitszeitverkürzung
  • Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen
  • Einkommenstransparenz
  • Arbeitszeitmodelle, die mit Öffnungszeiten von Betreuungseinrichtungen kompatibel sind

und schließlich geht es um die Verteilung der Zeit! Denn wer Zeit hat, kann netzwerken, kann sich weiterbilden, kann mit den richtigen Leuten etwas trinken gehen und kann sich politisch engagieren. Wer dafür keine Zeit hat, hat keine politische Lobby. Das alles geht auf Kosten der Frauen.

„Wenn wir alle eine Stunde nicht arbeiten würden, würde die Welt stillstehen!“

Schlechtes Gewissen ist weiblich, und so suchen Frauen oft die Schuld bei sich selber, übernehmen Verantwortung und versuchen alles irgendwie hinzukriegen – anstatt wütend auf die zu sein, die sie in diese Lage gebracht haben. Wir müssen ins kollektive Handeln kommen, meint Bohrn Mena. Und der erste wichtige Schritt ist, den Diskurs anstoßen und im eigenen Bereich: Kolleg:innen nach ihrem Gehalt fragen, Frauen auf ihre Situation aufmerksam machen, darüber sprechen, dass es kein Naturgesetz ist, dass hier nichts unternommen wird. Die Autorin ist überzeugt: „Wenn wir alle ein paar Monate lang mit ein bis zwei Frauen im Umfeld sprechen, hat das schon einen Riesen-Effekt!“

Wie ist es bei euch – ärgert ihr euch noch oder redet ihr schon?

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