Von der Salzburgerin zur Ausländerin zur Ausserirdischen

Jan 17, 2022Kommentare0 Kommentare

Ich war stolz. Mein Artikel über Staatenlosigkeit in den Salzburger Nachrichten! Doch beim zweiten Hinsehen: Enttäuschung und Fassungslosigkeit. Warum? Weil die Einbettung durch die Redaktion und Grafik genau die Sensibilität vermissen ließ, um die ich mich beim Schreiben ganz besonders bemüht hatte.

„Eine junge Vietnamesin schildert…“

So liest sich die Einleitung am Titelblatt. Aber: Mein Artikel handelt von einer jungen Frau, die in Österreich geboren ist und KEINE Staatsbürgerschaft hat. Sie fühlt sich zwar als Österreicherin, getraut es sich aber nicht zu sagen, da sie ja keine ist. Ich habe von ihr als „Studentin, Salzburgerin, junge Frau“ geschrieben. Aus welchem Land ihre Eltern geflüchtet waren, ist de facto irrelevant. In der Einleitung wurde sie von den SN zu einer Ausländerin gemacht, die sie nie war. Wie denn auch, ohne Nationalität?

und apropos kabarettreif…

Thao fand ihre Einbürgerungsprozedur bei weitem nicht kabarettreif, sondern erniedrigend und demütigend. Sie konnte nicht erste Reihe fußfrei sitzen und belustigt den Kopf schütteln, sie war mittendrin: hoffend, bangend, verzweifelt, fassungslos. Da ging es nicht um Irrungen und Wirrungen, sondern um ihre Existenz und Identität.

Willkommenskultur

Direkt über dem Artikel prangt das Wort: Willkommenskultur. Wie bitte? Sollen wir jemanden willkommen heißen, der schon immer da war und hier geboren wurde? Eine Person, die nie in einem anderen Land gelebt hat? Diese Logik entzieht sich meiner Vorstellungskraft. Denn es geht hier um das Kinder- und Menschenrecht auf Staatszugehörigkeit.

Die Krönung: Thao wird zur Außerirdischen

In der Online-Ausgabe wurde mein Artikel ganz besonders originell (und ohne Rücksprache) umbetitelt: „Mein verrückter Weg zur österreichischen Staatsbürgerschaft: Ein Leben als legale Außerirdische„. Autsch. Das klingt ja fast nach dem Filmtitel aus den 80ern: Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug! Die Staatenlose wird somit von der Erde ins Weltall geschickt – aber immerhin legal. Ja, das klingt wirklich verrückt – hat aber leider wenig mit den geschilderten Erlebnissen zu tun.

Was sagen uns diese Beispiele?

Dass wir leider viel zu schnell unseren eigenen Assoziationen erliegen (absurd? Ah, Kabarett!), oft gehörte Phrasen und Begriffe unhinterfragt übernehmen (ach so – Eltern geflüchtet? Also Willkommenskultur!) und gar nicht merken, dass gut gemeinte Sprachbilder und griffige Formulierungen für die Betroffenen so rein gar nicht passen.

So etwas geschieht nicht absichtlich und ist sicher auch einem gewissen Zeitdruck geschuldet – aber es zeugt auch davon, dass wir (zumeist privilegierten) Menschen in Kommunikationsberufen uns oft gar nicht vorstellen können, was „unsere“ Protagonist:innen erleben und wie sie sich dabei fühlen. Nicht nur, wenn es um ethnische Zugehörigkeit oder Nationalität geht, sondern auch bei anderen Themen, wie Barbara Blaha anlässlich einer ORF-Dokumentation über Armut anmerkte.

Kein Wunder, dass der Ruf nach Diversität in Redaktionen immer lauter wird – denn je mehr unterschiedliche Erfahrungswelten, desto eher schreit jemand auf, wenn ein Fettnapf oder ein Faux Pas droht. Und ich habe den Beweis, dass ich mit meinem Workshop-Angebot für Menschen in Kommunikationsberufen goldrichtig liege – und kam auch gleich zu einem ganz aktuellen Beispiel für meinen Impulsvortrag bei den Salzburger Medienfrauen. 🙂

PS: Zur Ehrenrettung der SN sei erwähnt, dass der Online-Titel nach meinem Anruf rasch geändert wurde .

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