(Corona-)Armut essen Demokratie auf

Jan 4, 2022Neues aus der (Fach)Welt0 Kommentare

Bei der Salzburger Armutskonferenz hörte ich Politikwissenschafterin Tamara Ehs über die Auswirkungen der Pandemie auf die Demokratie sprechen. Ja, richtig gehört – auf die Demokratie. Und da ging es nicht um Fragen von „diktatorischen Maßnahmen“ oder „undemokratischen Vorschriften“ oder ähnliches. Sondern es ging um Fragen der politischen Teilhabe – und um Armut. Wie das zusammenhängt? Sie hat es in ihrem Buch: Krisendemokratie – Sieben Lektionen aus der Coronakrise erörtert.

Das Versprechen der Gleichheit ist gebrochen

Das – theoretische – Wesen der Demokratie besteht darin, dass alle Wähler:innen gleichberechtigt sind und ihre Stimme gleich viel zählt. In der Praxis ist jedoch entscheidend, WER 1. wahlberechtigt ist und 2. überhaupt wählen geht und seinen Einfluss geltend macht.

Zur ersten Frage habe ich bereits an anderer Stelle geschrieben – Fakt ist, dass einer steigenden Wohnbevölkerung eine sinkende Anzahl von Wahlberechtigten gegenübersteht. Zur zweiten Frage: Aus Studien weiß man, dass individuelle Ressourcen (Zeit, Geld, Skills, Netzwerke, Wissen etc.) die Wahlbeteiligung bestimmen. Aus Nicht-Wähler:innen-Studien wiederum weiß man, dass Menschen, die sich z.B. aufgrund sozialer Kränkung nicht als Teil der Gesellschaft fühlen, sich auch nicht beteiligen und den Glauben an die Vertretung ihrer Interessen durch die Politik verloren haben.

Gehen also hauptsächlich Menschen wählen, die über die nötigen Ressourcen verfügen (und das sind in der Regel die Wohlhabenderen), orientiert sich auch die Politik an ihnen. Wachsende soziale Ungleichheit führt zu ungleicher Politik. Das Ideal, dass die Wünsche aller in einer Demokratie gleich behandelt werden, ist weit entfernt.

Was hat das alles mit Corona zu tun?

Die Pandemie hat die „Leerstellen in der Sozialpolitik“ offenbart, wie es Tamara Ehs formuliert. Strukturelle Probleme werden seit Generationen mitgezogen, die soziale Ungleichheit und Armutsgefährdung ist durch Corona merkbar gestiegen, während die Reichen noch reicher wurden und die Managergehälter noch höher stiegen. (Quelle: APA). Es ist also ein Teufelskreis: Größere Armut bedeutet weniger politische Beteiligung sozial schwächerer Gruppen bedeutet eine Politik für Reiche bedeutet noch größere Armut… Das heißt: Sozialpolitik ist die Grundlage für Demokratiepolitik! Wenn wir also verhindern wollen, dass durch wachsende Armut immer weniger (Wahl)Stimmen der Betroffenen gehört und gezählt werden, dann müssen wir jetzt gegensteuern. Nämlich indem wir Armutsbekämpfung zur politischen Agenda machen und gleichzeitig die Demokratie stärken, indem wir Menschen ermutigen, wählen zu gehen und es ihnen so einfach wie möglich machen.

Warum schreibt die VielfaltsAgentin darüber?

Ihr fragt euch vielleicht, was Armut mit Themen der Diversität, Migration und Integration zu tun hat? Sehr viel! Stichwort: Intersektionalität. Denn Armut und Armutsgefährdung sind unter Menschen mit Migrationsgeschichte höher, Frauen und Alleinerzieherinnen sind stärker davon betroffen. Außerdem geht es bei Diversität, Migration und Integration oft um Vorurteile, Stereotypen und Diskriminierung, man denke z.B. an Klassismus, die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft. Und auch die Frage der Einbürgerung bzw. Staatsbürgerschaft und der damit verbundenen politischen Teilhabe ist eine, die die VielfaltsAgentin schon lange interessiert – und kritisiert.

Wer sich mit Integration beschäftigt, kommt um das Thema Chancengleichheit nicht herum – und landet wieder bei der Armutsbekämpfung…

 

 

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