Frauen und Kinder zuerst…?

Dez 7, 2020Neues aus der (Fach)Welt0 Kommentare

Letzte Woche ging ein offener Brief an die Bundesregierung. Absender: Das „Who is Who“ der österreichischen Migrationsforschung. Die Wissenschafter:innen fordern Subsidiarität, Solidarität und Zivilcourage von der Regierung – indem sie Geflüchtete aus dem griechischen Flüchtlingscamp Moria evakuiert und in Österreich aufnimmt. Der Brief basiert auf einer Resolution der 6. Jahrestagung zur Migrations- und Integrationsforschung in Österreich der österreichischen Akademie der Wissenschaften, die von 16.-18. September 2020 in Salzburg stattfand. Dort konnte ich einer spannenden Diskussion rund um die Resolution beiwohnen.

„Young men should be fighting“

In der Resolution der Tagung wird an die Regierung appelliert, „minderjährige Geflüchtete“ aus Moria aufzunehmen. Der aktuelle Brief hingegen spricht allgemein von „Geflüchteten“. Zufall oder Absicht? Mit jedenfalls ist sofort der Beitrag von Monika Mokre eingefallen, in dem sie über die Vulnerabilität von Geflüchteten referiert hat. Die landläufige Meinung und auch das kommunizierte Bild lautet ja, dass zweifelsohne Frauen und Kinder die Gruppe unter den Geflüchteten ist, die mit Abstand am verletzlichsten ist. Wie beim Schiffbruch muss man sie als erstes retten: „Frauen und Kinder zuerst!“ So auch der Fokus auf minderjährige Geflüchtete in der Resolution. Mokre hat sich speziell mit der Vulnerabilität von jungen männlichen Geflüchteten beschäftigt, denen ja oft vorgeworfen wird, ihr Land verlassen zu haben anstatt dafür zu kämpfen. Sie seien ja jung und stark. Dieses Bild wird auch von der Politik geschürt, wenn z.B. Donald Trump 2015 von „young strong men“ spricht, die in den USA Asyl suchen um dann dort Terroranschläge zu verüben.

ALS Gefahr, nicht IN Gefahr

Und tatsächlich werden junge männliche Geflüchtete eher ALS Gefahr als IN Gefahr wahrgenommen, hat sich seit 2015 der Humanitätsdiskurs zum Sicherheitsdiskurs gewandelt. Mokres Forschung zeigt jedoch: Junge Männer sind speziell vulnerabel! Sie sind die ersten, die im Krieg als Soldaten rekrutiert werden. Desertieren sie, wird das geahndet und kann zum Tod führen. In vielen Fällen haben sie die alleinige Verantwortung gegenüber der Familie. Die Fürsorge erfahren in erster Linie Frauen und Kinder, Männer werden in unterschiedlichen Transitzonen untergebracht und erfahren Ablehnung durch die Aufnahmegesellschaft. Zudem werden sie häufiger abgeschoben. Vulnerabilität ist laut Mokre also diskursiv konstruiert und verteilt. Sie konstatiert der Migrationspolitik ein „gender mainstreaming“ und plädiert ihrerseits für ein „migration mainstreaming“. Insofern ist zu begrüßen, dass ihm aktuellen Brief von allen Geflüchteten ohne Unterscheidung nach Alter und Geschlecht die Rede ist.

Junge, starke Männer haben auch Ressourcen!

Ich kenne einige dieser „young strong men“ und bin froh, dass sie nicht in ihrem Land kämpfen, sondern einen wertvollen Beitrag in unserem Land leisten! Dass sie zum Beispiel als Sprachhelfer Kinder und Lehrkräfte in der Schule unterstützen, dass sie sich als Heroes für das gleichberechtigte Zusammenleben von Männern und Frauen einsetzen, dass sie tolle Bücher schreiben wie Omar Khir Alaman und Jad Turdjman, dass sie unseren Esstisch mit allerlei Köstlichkeiten bereichern…. und das sind nur ein paar der unzähligen Beispiele. Danke!

Und wer sich im Detail mit den Bedarfen, Herausforderungen und Ressourcen junger geflüchteter Männer (allerdings in Deutschland, aber so unähnlich wird es nicht sein…) beschäftigen möchte, dem/der sei die Studie des deutschen Bundesforums Männer und das dazugehörige Projekt movemen zu empfehlen.

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