Weihnachtsgrüße: ironisch, sexistisch – oder…?

Dez 23, 2021Kommentare0 Kommentare

Vor drei Jahren bekam ich Weihnachtsgrüße einer Consulting-Firma. Ich habe die Karte aufgehoben, weil ich bis heute nicht weiß, was ich davon halten soll… Doch machen wir es so, wie wir es in Anti-Bias-Trainings lernen: Trennen wir die Wahrnehmung von der Interpretation und Bewertung! Also versuche ich das Bild völlig neutral und faktenbasiert zu beschreiben 🙂

Erst beobachten und beschreiben…

Wir sehen fünf Personen – drei Frauen und zwei Männer (wobei auch das schon eine Zuschreibung meinerseits ist) – um einen dunklen Schreibtisch vor einer grauen Wand platziert. Ein Mann sitzt mittig am Schreibtisch, die vier anderen Personen stehen links und rechts hinter ihm. Die Hände des sitzenden Mannes liegen am Tisch, die linke Hand mit einer Uhr ist über die rechte Hand gelegt. Er trägt eine Brille, einen dunkelgrauen oder schwarzen Anzug mit weißem Hemd, weinroter Krawatte und einem weißen Stecktuch. Dreitages-Bart.

Links von ihm sitzt eine Frau auf der Schreibtischkante, die Hände hat sie ineinander am Oberschenkel liegen. Sie trägt lange, dunkle, glatte Haare, die nach hinten fallen, einen schwarzen Hosenanzug, und der Kragen ihrer weißen Bluse zeigt ihr Dekollete. Sie sitzt aufrecht, etwas im Hohlkreuz, blickt in die Kamera und lächelt mit geschlossenem Mund. Rechts daneben steht eine Frau mit dunkelblonden, glatten, langen, auf den Rücken fallenden Haaren. Sie hat die linke Hand in die Hüfte gestemmt und steht mit dem Oberkörper kaum merkbar nach hinten geneigt. Ihre hellblaue, gemusterte Bluse wirft rund um den Ärmel Falten, über der Brust ist sie gespannt. Ihr Dekollete ziert ein Kettchen, auch sie lächelt mit geschlossenem Mund in die Kamera.

Die dritte Frau steht leicht rechts hinter dem sitzenden Mann, sie hat ihre rechte Hand auf die Stuhllehne des Mannes gelegt, die linke Hand hat sie auf ihrem Oberschenkel. Auch sie im Business-Anzug, sehr aufrecht, offener Kragen, Halskette mit kleinem Anhänger, um die Brust springt die Bluse minimal auf und lässt einen schwarzen BH erkennen. Die langen, dunklen, glatten Haare sind hinter die Ohren gelegt und fallen dann nach vorne auf ihr Sakko. Sie lächelt frontal in die Kamera und zeigt als einzige Zähne. Rechts von ihr steht ein Mann im dunkelgrauen Anzug, graue Krawatte, weißes Hemd, kurze Haare, Dreitages-Bart. Die Hände hat er in „Freistoß-Manier“ in Gürtelhöhe übereinander platziert. Er blickt ebenfalls direkt in die Kamera und lächelt kaum merkbar.

Die fünf Personen dürften in derselben Altersgruppe sein, geschätzt zwischen 25 und 35. Auf dem Tisch eine Teekanne und eine Wasserkaraffe. Aufs Bild montiert blau-silbriger Christbaumschmuck und „Merry Christmas“ in blau.

… dann erst interpretieren!

So weit, so gut. Ein nettes Team-Foto, könnte man sagen. Wenn mir da nicht immer solche Assoziationen in den Kopf kommen würden…! Es war die Zeit Donald Trumps und die Welt wurde überschwemmt mit Fotos des selbstherrlichen Präsidenten an seinem Schreibtisch – er sitzend, seine Berater bzw. Gäste immer hinter ihm stehend. Und falls seine Frau dabei war, durfte sie stets den Platz rechts hinter ihm einnehmen. Frappierend, oder? Noch dazu, wenn man der Weihnachtskarte entnehmen kann, dass tatsächlich die Angetraute des sitzenden Mannes mit am Bild (und in der Firma) war! Und der Herr rechts würde doch als perfekter Bodyguard durchgehen..!

Also wenn es als ironische Anspielung an Trump gedacht war, muss ich sagen: Hut ab, sehr gelungen!

Allein, mir fehlt der Glaube… Denn da war nichts in Richtung Augenzwinkern, zweideutiger Kommentar im Text oder ähnliches. Daher muss ich die nächste Assoziation benennen, die mir beim Anblick des Settings in den Sinn kommt.

Ist diese Karte sexistisch?

Als Frau beschleicht mich beim Betrachten dieses Fotos ein ganz seltsames Gefühl: Die Damen sind kurvenbetont in Pose geworfen und regelrecht um den Chef drapiert, welcher zufrieden lächelnd thront. Ach, könnte man doch nur seine Gedanken lesen! Sex sells, auch im Consulting, scheint es.

Doch bin ich möglicherweise schon zu „biased“ und voreingenommen von zuviel Beschäftigung mit Rollenklischees, Gender Pay Gap, Genderfragen, Feminismus, und, und, und? Vielleicht sehe ich ja schon Sexismus dort, wo gar keiner ist? Daher suche ich Rat bei der Salzburger Watchgroup gegen sexistische Werbung. Dort lese ich, dass eine Werbung dann sexistisch ist, wenn eine Frau als Sexobjekt dargestellt ist  oder wenn männliche und weibliche Klischees verfestigt werden. Also wenn z.B. Frauen auf Lust- oder Dekorationsobjekte reduziert sind und in ihrer Rolle Schönheit, Jugendlichkeit und Zerbrechlichkeit verkörpern sollen. Oder wenn Frauen als untergeordnete Dienstleisterinnen und Assistentinnen (des Mannes) abgebildet sind.

Und auch zum Thema Lächeln weiß die Watchgroup etwas: „Die Körpersprache trägt zur Verfestigung von Rollenklischees bei. Frauen lächeln in der Werbung häufiger, ihr Lächeln ist unschuldig, unterwürfig und freundlich. Männer lächeln selbstbewusst, selbstzufrieden und stark.“ Wenn ich also diese Maßstäbe ansetze, komme ich zu dem Schluss: Ja, diese Karte ist sexistisch. Oder könnte auch das wieder vom Absender ironisch gemeint sein?

Und jetzt?

Ich bin weiterhin ratlos, weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, dass sich niemand der Beteiligten hier etwas gedacht hat. Umso mehr, als es sich um Kommunikations- und Public Affairs Spezialisten handelt und der Chef inzwischen „Director Group Communications“ eines der größten Telekom-Unternehmen Österreichs ist. 2018 ist gerade einmal drei Jahre her, da war die Thematik durchaus schon präsent. Aber vielleicht haben sich ja auch viele der Beschickten (Männer?) über „was fürs Auge“ gefreut und ihn insgeheim beneidet? Who knows…

Aber im Sinne der Diversität würden mich eure Meinungen dazu sehr interessieren – denn man soll ja die unterschiedlichen Interpretationen miteinander abgleichen und austauschen, um sich eine Meinung zu bilden!

Trotzdem: Die Zeiten gendern sich!

Mit diesem Spruch von Pinkstinks, einer feministischen deutschen NGO, die Kampagnen und ein Online-Magazin zu neuen Geschlechterrollen produziert, möchte ich diesen Weihnachtsbeitrag schließen. In der Hoffnung, dass sich Firmen in Zukunft immer mehr Gedanken machen, was sie mit ihrer (Bild)Sprache auslösen – und wenn sie sich unsicher sind, einfach Menschen wie die Vielfaltsagentin zur Shitstorm-Prävention um Rat fragen.

Copyright Pinkstinks, Foto Markus Abele

 

 

Und als Weihnachts-Bonus-Track gibt’s noch den ganz frischen Artikel: „Feiert das Fest, keine Klischees!“ zum Schmunzeln von Pinkstinks, garniert von einem Sujet der Kampagne „Küche, Kekse, Kinder“.

MERRY CHRISTMAS!

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